Mythos “Saigon” verschwindet

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    Sehnsuchtsort: Das Hotel Continental, in dem Graham Green residierte

    Was wäre das frühere Saigon ohne seine französische Kolonialarchitektur? Die heutige Ho-Chi-Minh-Stadt würde zu einer asiatischen Metropole wie jede andere. Genau dieses Schicksal droht der Stadt in Vietnam.

    Saigon Fluss Vietnam (picture alliance/dpa/R.Harding)

    Als Kulisse für Graham Greenes berühmten Saigon-Roman “Der stille Amerikaner” erlangten die charmanten Kolonialbauten literarische Berühmtheit. Heute sind sie Touristenattraktionen und gehören ins feste Programm einer jeden Stadtbesichtigung. Doch sie sind in Gefahr.

    Ein Gewirr von Baukränen ragt über “Saigon”, heute Ho-Chi- Minh-Stadt, in den Himmel. Die Skyline wächst und wächst. Es ist die größte vietnamesische Metropole und eine der am schnellsten wachsenden Städte Asiens überhaupt. Wie viele Einheimische ist Tran Trong Vu bestürzt über diese rasante Entwicklung. Für die neuen Wolkenkratzer werden historische Viertel rigoros eingeebnet. “Die Gebäude haben doch einen kulturellen Wert. Wir sollten sie erhalten und nicht durch Hochhäuser ersetzen,” appelliert er.

    Hotel Continental Saigon (picture alliance/dpa/J. Hoelz)Sehnsuchtsort: Das Hotel Continental, in dem Graham Green residierte

    Leichtes Spiel für Investoren

    Viele befürchten, dass es nicht mehr lange dauert, und Ho-Chi-Minh-Stadt unterscheidet sich kaum noch von irgendeiner anderen asiatischen Megastadt. “In den 1960er und 1970er Jahren sah alles Französisch aus,  jetzt werden wir immer amerikanischer: an jeder Ecke gibt es McDonald’s,” sagt Hiep Nguyen, der in Ho-Chi-Minh-Stadt aufwuchs und mehrere Bücher über das architektonische Erbe seiner Heimat geschrieben hat. “Eine Straße, die ihrer Geschichte beraubt ist, ist nichts wert,” fügt er hinzu.

    Am deutlichsten wird die Zerstörung im Stadtzentrum sichtbar. Immer mehr junge Menschen zieht es hierher, sie wollen ein modernes Umfeld, Wohnraum und Platz zum Arbeiten. Ein legitimes Bedürfnis. Aber Nguyen verweist auf einen weiteren Aspekt:  “Es geht um viel Geld und um die Interessen der Investoren.”

    The Construction site in Saigon South, a mixed residential and commercial... (picture alliance/dpa/Godong)Baustellen überall: Auf 3300 Hektar entsteht hier ein neuer Wohnkomplex

    Wo bleibt der Denkmalschutz?

    Finanzstarke Investoren haben sich längst begehrte Filetstücke im Stadtzentrum gesichert. Auf Grundstücken mit alten Villen, und historischen öffentlichen Gebäuden machen sich jetzt Baustellen breit. Zuletzt hat die Einebnung des Hafens “Ba Son” am Saigon River für Empörung gesorgt. Die Gebäudekomplexe aus der französischen Kolonialzeit mussten weichen. Die Vincom Gruppe errichtet dort gerade eine neues Wohnviertel. Pham Nhat Vuong, der Firmenchef, ist der reichste Mann im Land. Er wird gerne als der Donald Trump von Vietnam bezeichnet.

    Die Stadtverwaltung hat inzwischen über 1000 Gebäude registriert, die zwischen 1887 und 1954, zur Zeit der französischen Kolonialherrschaft, erbaut wurden. Darunter das berühmte Stadttheater, die Post oder die Kathedrale Notre Dame. Mit diesen Gebäuden schmückt sich Ho-Chi-Minh-Stadt: sie alle sind touristische Highlights. Es gibt auch noch einige der alten Lieblingsplätze von Graham Greene in der Rue Catinat. Heute heißt die Straße Dong Khoi und in die Läden sind Marken wie Hermès und Chanel eingezogen.

    Widerstand regt sich

    Es gibt keine zuverlässigen Zahlen darüber, wie viele der historischen Gebäude bereits zerstört wurden. Fanny Quertamp von der Stadtentwicklungsgesellschaft PADDI vermutet, dass bereits 50 Prozent der Kolonialbauten in der Innenstadt verschwunden sind. Gegen das Tempo, mit dem dieser Prozess voranschreitet, formiert sich Widerstand.

    Vietnam Saigon Opernhaus (picture alliance/dpa/R.Harding)Bald eine Rarität? Stadttheater von Saigon, eröffnet 1899

    Daniel Caune, ein Videospiele-Entwickler, engagiert sich privat für den Erhalt der Kolonialarchitektur. Mit seiner noch in Arbeit befindlichen App “Heritage Go” sollen Einheimische wie Touristen für den architektonischen Schatz sensibilisiert werden. Wenn Nutzer ihr Smartphone auf eines der alten Gebäude richten, erhalten sie Fotos und Infos zu seiner Geschichte. Noch ist die App nicht auf dem Markt. “Ich möchte, dass die Leute sich über ihr historisches Erbe bewusst werden”, erklärt Caune. Er  ist Mitglied der Initiative “Heritage Observatory”,  die Gebäude aus der Kolonialzeit erfasst und archiviert.

    Sorge um Tourismus

    Auch bei der Stadtverwaltung verfolgt man dieses Ziel und erarbeitet einen Plan zur Erfassung der Kolonialarchitektur. Eine gewaltige Aufgabe, die Jahre dauern wird. Die Denkmalschützer haben keine Lobby in der aufstrebenden Metropole . “Die Forderung nach wirtschaftlichem Erfolg und  nach Fortschritt setzen uns gewaltig unter Druck”, sagt Tuan Anh Nguyen, der Leiter der Arbeitsgruppe Architektur bei der Behörde für Stadtentwicklung in Ho-Chi-Minh Stadt.

     Saigon Vincom Center (picture alliance/dpa/J.Hoelz)Auch so werden Baulücken geschlossen: Neues Luxus-Shopping Center im Kolonial-Stil

    Vielen der Investoren, die wertvolles Land im Stadtzentrum aufkaufen, sei das historische Erbe egal, fügt er hinzu. Er wünscht sich, dass es rasch einen Stadtentwicklungsplan gibt, der diese Entwicklung stoppt. Und nennt als Vorbild die Altstadt von Montreal in Kanada. Der Protest der Einwohner und das Engagement eines Stadtplaners führten dazu, dass bereits 1964 die historische Altstadt Vieux-Montréal komplett unter Schutz gestellt wurde. Statt Abriss wurden Gebäude restauriert und der Bezirk entwickelte sich über die Jahre zu einer beliebten Touristenattraktion.

    Ironie der Geschichte 

    Investoren haben in dem Touristenort Da Nang am Delta des Flusses Han eine mittelalterliche französische Stadt  errichtet, das “French Village”, mit Türmchen, Zinnen und Kopfsteinpflaster. Denkmalschutz funktioniert nicht, aber französisches Mittelalter als Disney-Variante schon. Verkehrte Welt.

    Architekt Ngo Viet Nam Son geht davon aus, dass Ho-Chi-Minh-Stadt Millionen Touristen verloren gehen werden, wenn das französische Flair in den Straßen von “Saigon” verschwindet. Es sei, sagt er, als säge man den Ast ab, auf dem man sitzt.

    jv/jta/lto (AFPE)